Tabea: Ich bin jetzt vor Ort im Zentrum für Schmerzmedizin am Schweizer Paraplegiker-Zentrum in Nottwil. Hier wäre ich drei Monate in einer Residenz gewesen, um mich mit chronischen Schmerzpatient*innen zu unterhalten, um mich in einer künstlerischen Herangehensweise mit der Komplexität und Vielschichtigkeit von chronischem Schmerz auseinanderzusetzen und danach zu fragen, was er im Leben der Betroffenen, für die Gesellschaft, aber auch das Gesundheitssystem bedeutet.
00:00:48.088–00:00:50.088
Tabea: Nach sechs Tagen kam der Lockdown aufgrund der Corona-Pandemie.
00:01:12.378–00:01:42.337
Tabea: Dann hatte ich vor ein paar Wochen die Idee, eine Art Quarantäne-Zelt vor Ort zu bringen. Und jetzt sitze ich hier in meinem Luftobjekt und unterhalte mich mit allen, die mitmachen und mitsprechen über chronische Schmerzen, aber auch über die Art der Kommunikation, die wir gerade alle führen.
00:02:18.773–00:02:34.157
Chris (Künstler): Kannst du ein bisschen was Detailliertes dazu sagen? Chronische Schmerzen sind sehr allgemein; was für Schmerzen sind das, wo sind die … natürlich kann man nicht sagen, wie die sich anfühlen, aber…
00:02:59.258–00:03:21.929
Tabea: Chronische Schmerzen sind so persönlich und individuell, wie jede Person individuell ist. Dass man eben … Es gibt Dinge, die viele Schmerzleidende betreffen, aber ausser dem Empfinden von Schmerz, der ständig da ist oder ständig wiederkehrt, gibt es wenige allgemeingültige Parameter – jeder Schmerz ist anders.
00:03:33.265–00:03:51.887
Cornelia: Für mich ist sogar jede Migräne unterschiedlich. Die Situation aussen ist auch jeweils anders. Mal ist sie stärker, mal weniger stark, sie dauert mal einen Tag, mal mehrere Tage‚ mal mit Erbrechen, mal nur Augenflimmern. Es kommt einfach immer wieder.
00:03:59.175–00:04:24.275
Tabea: Und man gewöhnt sich eigentlich nie dran. Was mich auch interessiert: Dass es eine Kombination ist von etwas Langandauerndem, dass dann aber jedes Mal ein akutes Erlebnis ist.
00:04:42.898–00:04:59.092
Eirini: Nach sechs oder sieben Jahren hat man bei mir eine Ursache gefunden. Trotz Operation habe ich immer noch diese Angst, dass es wieder kommt.
00:05:07.999–00:05:09.999
Eirini: Die Ärzte denken oft, du bist jung und das ist bestimmt psychosomatisch und suchen dann nicht tiefer.
00:05:33.909–00:05:54.151
Eirini: Ich war im Spital, auch im Notfall, aber die sagten nur, du brauchst vielleicht einen Tranquilizer oder es ist nur der Stress.
00:06:09.535–00:06:31.397
Eirini: Ich bin eine Patientin, keine Ärztin, ich kann nur die Symptome erklären, und das ist alles, was ich machen kann. Aber vielleicht erwarten sie etwas anderes. Ich denke, es geht auch um unsere Rolle als Patient*innen.
00:06:57.307–00:06:59.307
Eirini: Die Ärzt*innen sollten ein bisschen tiefer suchen. Ich kann dem Arzt nicht helfen. Ich kann nur sagen: „Ich habe Schmerzen.“
00:07:26.456–00:07:28.456
Tabea: Aber du kennst dich doch besser als der Arzt?
00:08:10.179–00:08:28.802
Eirini: Aber ich als Patientin, ich kann nicht erklären, ich kann nur sagen, jetzt ist es besser, jetzt ist es schlechter. Aber ein Arzt …, ich denke, sie sollten ein bisschen mehr suchen.
00:10:03.535–00:10:05.535
Eirini: Es braucht auf jeden Fall eine holistischere Sicht.
00:10:13.252–00:11:30.983
Anne (Sozialwissenschaftlerin): Das ist ja immer die grosse Kritik an der westlichen Medizin, dass der holistische Ansatz zu wenig berücksichtigt wird. Weil das ganze westliche Gesundheitssystem eben auf verschiedenen Subsystemen aufbaut, nicht wie beispielsweise die traditionelle chinesische Medizin. So produzieren wir Fachleute, die auf ein Gebiet spezialisiert sind, und das bringt die Problematik, dass sie nicht miteinander kommunizieren. Die Frage ist, wie man diese Spezialisten wieder zusammenbringt, weil wir sprechen bei unserem Gesundheitssystem sehr wohl von einem „ganzen” System. Ich glaube, es ist überhaupt kein medizinisches Problem, sondern ein Kommunikationsproblem.
00:11:34.221–00:11:52.844
Cornelia: Aber das zeigt eben wie bei Eirini, dass es wirklich eine Frage ist, wie man das zusammenführen kann. Das ist für beide Seiten ein Problem.
00:11:54.463–00:12:19.564
Anne (Sozialwissenschaftlerin): Super, wie wir hier sitzen: Wenn jedes von diesen Zoom-Videokästchen für ein Subsystem der Medizin stehen würde, und Eirini in der Mitte sässe, dann würde man wahrscheinlich schneller herausfinden, was sie hat.
00:12:43.045–00:12:45.045
Tabea: Nochmals zur Schwierigkeit der Kommunikation von chronischen Schmerzen, die Frage, wie man das kommuniziert, von der Annahme ausgehend, dass es nicht einfach ein einzelnes Problem ist, also nur über die Körperebene kommuniziert werden kann beispielsweise, sondern „das Leben” immer auch mitkommuniziert werden muss.
00:12:57.198–00:12:59.198
Cornelia: Also bei Migräne hat man ja schon festgestellt, dass es nicht heilbar ist. Ich hab resigniert, ehrlich gesagt. Ich habe vieles ausprobiert, am Anfang voller Hoffnung, aber jetzt muss ich sagen: Nein, es geht einfach nicht weg. Ich hab’s, und damit muss ich mich arrangieren. Aber Kommunikation ist sicher ein grosser Faktor. Ich denke, es sind auch viele Ärzte, die selbst davor stehen und nicht wissen: „Was soll ich jetzt mit dieser Patientin machen?” Sie kann nur sagen, dass sie Schmerzen hat.
00:13:39.296–00:13:41.296
Cornelia: Mir kommt das manchmal vor wie im Buchladen, da kommt jemand rein und sagt: „Ich hätte gerne ein Buch für meine Enkelin.“ Dann denkt sich die Buchhändlerin: „Ja schön, und jetzt?!“ Man muss ein bisschen mehr wissen. Und jetzt müsste sich eigentlich ein Gespräch entwickeln: Wer ist das, Mädchen, Junge, Alter, Interessen etc. Aber wie man da in der Medizin weiterkommt, da müsste man vielleicht wirklich grundsätzlich umdenken.
00:14:29.286–00:14:31.286
Tabea: Ja, wie kann man denn kommunizieren, wer man ist?
00:14:31.918–00:14:33.918
Cornelia: Man ist immer wieder auf sich selbst zurückgeworfen.
00:15:19.277–00:15:21.277
Cornelia: Und vor den nächsten Angehörigen will man auch nicht immer sagen: „Oh, aber jetzt habe ich schon wieder Migräne.“ Das ist dann auch etwas, womit man alleine gelassen wird. Ich bin ja wahrscheinlich die Älteste von allen hier, das ist so das, was ich in den ganzen Jahrzehnten feststellen musste.
00:15:48.219–00:15:50.219
Chris (Künstler): Und wenn Sie so einen Anfall haben, dann helfen Ihnen andere Leute? Hilft es Ihnen, wenn jemand in dem Moment bei Ihnen ist?
00:16:09.268–00:16:11.268
Cornelia: Nein, das hilft dann im Moment gar nichts. Es ist dann ein verlorener Tag.
00:16:42.990–00:17:11.632
Tabea: Es würde mich auch sehr interessieren, wie halt so der Alltag ist, wenn man mit solchen Schmerzen umgehen muss. Arbeit, Familie, wie sind die Höhen und Tiefen?
00:17:42.767–00:18:21.372
Cornelia: Ja, man kennt natürlich schon mehr die Höhen und Tiefen. Wenn man Schmerzen hat, ist man ganz tief unten, und wenn es dann aber wieder überstanden ist, erfährt man ein grosses Glücksgefühl der Erleichterung. Wer nie etwas hat, der weiss wahrscheinlich nicht um diese Höhen und Tiefen.
00:18:17.636–00:18:19.636
Chris (Künstler): Cornelia hat gerade gesagt: „Ich habe einem Tag verloren.“ Haben dieses Gefühl andere Gesprächspartner*innen auch gehabt? So wie: „I lost a day, I lost a week, I lost chunks of my life?”
00:18:32.580–00:20:09.716
Tabea: Ja, das kam noch bei andern vor. Einige kamen zur Akzeptanz: „Ok, es ist verlorene Zeit, wenn ich einfach nur leide.“ Aber dann werden sie auch kreativ, wie sie die Zeit doch nutzen können, beispielsweise um Podcasts zu hören. Sie werden aktiv, um die Zeit der Schmerzen nicht einfach zu verlieren und bereiten auch Dinge vor, für die Schmerzmomente. Aber das Verlieren war fast bei allen ein Thema. Auch das Fallen aus der Zeit, aus der “normalen” Zeit der Mitmenschen …, aber auch der Verlust eines Raumgefühls.
00:20:34.624–00:20:36.624
Cornelia: Verlorene Zeit bedeutet ja nicht nur die vergängliche Zeit zu verlieren, sondern auch Arbeitszeit, Haushalt etc. Es staut sich vieles an.
00:21:00.777–00:21:02.777
Cornelia: Ich habe ein sehr schönes Leben gehabt bisher, die Migräne ist einfach auch eine Komponente davon.
00:21:53.081–00:21:55.081
Chris (Künstler): Ja, ich habe gerade über die Geschichte der Höhen und Tiefen nachgedacht und denke, ich bin eher so gradlinig, und manchmal wünschte ich mir, ich hätte etwas mehr Höhen und Tiefen. Super Höhen natürlich …
00:22:16.743–00:22:18.743
Tabea: Und dann würdest du die Tiefen auch dazu akzeptieren?
00:22:32.932–00:22:34.932
Chris (Künstler): Ich weiss es nicht … kommt drauf an, wie tief es sein kann. Manchmal wünschte ich mir einfach, dass ich mehr in allem direkt drin wäre. Vielleicht würde dies Schmerz schaffen?
00:23:16.519–00:23:57.616
Tabea: Ich habe aus den bereits geführten Gesprächen viele Textfragmente herausgefiltert, die, auch wenn jeder Schmerz anders ist und individuell bleibt, doch so etwas wie eine„Pointcloud” generieren, die für das Phänomen chronischer Schmerz stehen könnte, was er alles tangiert, was er alles durchdringt.
00:24:06.333–00:24:29.994
Anne (Sozialwissenschaftlerin): Also ich finde es gerade sehr spAnne (Sozialwissenschaftlerin):nd, dabei zu sein, auch wenn ich selbst keine chronischen Schmerzen habe. Einfach zuzuhören. Aber ich kenne natürlich Schmerzen auch, körperliche, seelische, auch Höhen und Tiefen, klar. – Ich muss leider gehen, aber ich höre später noch einmal rein.
00:24:29.995–00:25:01.128
Chris (Künstler): Eine Frage: Gab es Leute, die sozusagen von ihren chronischen Schmerzen geheilt wurden? Wenn ja, war es immer ein bestimmtes Problem, das gelöst wurde, oder war es eher so ein “holistic problem”?
00:25:17.318–00:25:19.318
Tabea: Alle Patient*innen, mit denen ich gesprochen habe, leiden immer noch an Schmerzen, aber sie sind ja auch meinem Aufruf, der Suche nach Schmerzpatient*innen gefolgt. Aber André Ljutow, der Leiter des Schmerzzentrums, kann uns vielleicht etwas dazu sagen?
00:25:47.206–00:26:34.529
André (med.): Also, per Definition ist der chronische Schmerz ja der Schmerz, der nicht nur eine Ursache hat, sondern der immer aus verschiedenen Komponenten zusammengesetzt ist. Er hat eine biologische, eine soziale, eine emotionale und auch eine spirituelle Ebene, manchmal.
00:26:42.002–00:27:06.909
André (med.): Zum Beispiel Kopfschmerz: Man kann ihn sehr genau lokalisieren und beschreiben, aber wenn er dann eben die Charakteristika eines chronischen Schmerzes hat, dann weiss man, da sind andere Faktoren mit drin, die das dann so hartnäckig und therapieresistent machen. Das kann man dann nur im Team auflösen.
00:26:49.474–00:26:51.474
Tabea: Und wie siehst du dann die Position der Patientin oder des Patienten im Team?
00:27:16.871–00:27:18.871
André (med.): Der Patient oder die Patientin ist der/die wichtigste Mitarbeiter*in! Von ihm oder ihr wird ja ganz viel verlangt. Wir haben zwar ein Wissen, das wir vermitteln, aber der Patient hat die Arbeit, er muss das verstehen, er muss das auf seine Situation übersetzen und er muss daraus Konsequenzen ziehen, Verhaltens- und Alltagsänderungen vornehmen. Dann ist er der Spezialist, denn er ist der Einzige, der den Schmerz spürt.
00:27:54.232–00:27:56.232
Tabea: Er oder sie ist aber auch der oder die Einzige, die gut Auskunft geben kann, wie der Schmerz zustande kommt, im Alltag.
00:28:05.440 – 00:28:44.046
André (med.): Ja, klar, ich meine, du sitzt jetzt da in deinem Luftobjekt und ich kann das zwar von aussen sehen, aber wie es sich da drinnen anfühlt, wie da die Luft ist, die Temperatur, die Atmosphäre, ob es dir wohl ist oder nicht, das sind alles Dinge, die spürst nur du und die kannst du selbst mit Bild und Ton nur sehr begrenzt übermitteln. Von daher ist das Objekt hier, mit dir drin, eigentlich eine sehr gute Metapher für chronische Schmerzpatient*innen.
00:28:45.291–00:28:47.291
Chris (Künstler): Gibt es auch Merkmale, so ein Mix aus physical, seelisch, mental oder spirituell? Gibt es Merkmale, an denen man festmachen kann, ah, das ist eher spirituell, das ist eher sozial, oder ah, das ist definitiv somatisch?
00:29:15.179–00:30:14.956
André (med.): Ja, deswegen muss es eben immer ein Team sein, was sich dem Ganzen annimmt. Weil genau das schwierig ist, ja, zum Beispiel die Frage: „Hat der Patient eine Depression und eine schmerzhafte Erkrankung, oder ist die Depression Folge dieser anhaltenden Schmerzen, oder hält der Schmerz überhaupt nur wegen der Depression an?” Es gibt immer unterschiedliche Anteile auf den verschiedenen Ebenen. Auf der medizinischen, auf der funktionellen, auf der Beziehungsebene, auf der psychologischen etc. Das ist immer eine Mischung.
00:30:08.584–00:30:10.584
Cornelia: Dann hätte mich ja viel früher jemand zu Ihnen schicken müssen! Also in so eine interdisziplinäre Klinik, statt dass ich alles im Alleingang ausprobieren musste!
00:30:24.371–00:30:26.371
André (med.): Ja, in der Regel warten die Leute acht Jahre, bis sie zu uns kommen.
00:30:39.169–00:30:39.169
Cornelia: Ja, da habe ich aber noch länger gewartet! Aber ich hatte das immer, das Empfinden, das reicht nicht, wenn ich meine Migräne mit dem Neurologen bespreche, dann wurde ein CT von meinem Kopf gemacht – da ist nichts zu sehen und so weiter. Irgendwo wird man dann einfach immer hängengelassen beim Spezialisten.
00:30:54.004–00:31:46.193
André (med.): Ja, das Fatale ist: Die Schmerzpatient*innen haben alle etwas unterschiedliche Probleme: Der Nachbar wird vielleicht nicht Migräne haben, sondern dem tut‘s im Rücken weh, und schon sind vermeintlicherweise die Gemeinsamkeiten sehr gering, und deswegen bildet sich keine Selbsthilfegruppe, keine Initiative Chronischer Schmerz. Dies, obwohl hier 16% der Bevölkerung an chronischem Schmerz leidet.
00:31:37.805–00:32:01.104
Tabea: Und wie erklärt es sich in diesem Fall, dass es vom Gesundheitswesen aus nicht einfach eine Richtlinie gibt, die besagt, dass bei chronischem Schmerz eine interdisziplinäre Behandlung notwendig ist?
00:32:05.764–00:32:34.654
André (med.): Weil Schmerzmedizin noch relativ jung ist. Erst seit zwanzig oder vielleicht dreissig Jahren spricht man spezifischer darüber. Und dann verteidigt natürlich jedes andere medizinische Gebiet sein Gärtchen und will nichts abgeben. Da was Neues zulassen, das ist immer noch sehr schwierig.
00:32:36.517–00:32:38.517
André (med.): Eine wirksame Patient*innen-Vertretung, das wäre schon etwas sehr Sinnvolles!
00:32:45.837–00:33:04.476
Cornelia: Also ich denke, es müsste sogar einen eigenen Facharzt dafür geben … wo man die verschiedenen Herangehensweisen bündeln könnte.
00:33:04.476–00:33:06.476
Eirini: Ja, genau, vor allen Dingen auch Kommunikation!
00:33:22.183–00:33:24.183
Tabea: Ich denke, es ist auch eine Frage der Patient*innen-Aufklärung. Man muss als Schmerzpatient*in wissen, wie chronischer Schmerz zustande kommen kann.
00:33:33.367–00:33:35.367
Cornelia: Absolut. Ich habe früher nicht viel über Migräne gewusst. Ich wusste einfach, dass es eine Diagnose ist, aber im Detail wusste ich nicht Bescheid. Wie gesagt, von allen Ärzten, die ich aufgesucht habe, hatte ich immer das Gefühl alleine gelassen zu werden. Es wurde immer nur gebietsweise angeschaut, nie als Gesamtes.
00:33:50.142–00:34:20.862
Marlon (Künstler): Was ich jetzt gerade sehr interessant fand, dass André sagt, dass du als Patient*in eigentlich die Spezialist*in bist. Und ich glaube, wenn man das von Anfang an zu hören bekommen würde, dann würde dies einen grossen Unterschied machen, wie man mit seiner eigenen Situation umgeht. Weil ja du dich selbst im Idealfall am besten kennst, oder zumindest durch die Situation kennen lernst. Du wirst praktisch darin bestätigt, anstatt von einem Ort zum andern geschickt zu werden und immer mehr daran zweifelst, ob du auf dem richtigen Weg bist oder, noch schlimmer, an dir selber zweifelst.
00:34:46.990–00:35:12.153
Cornelia: Ja, da muss man sehr selbstkritisch sein, und vorher hiess es ja auch von der Eirini: „Ja, ich habe einfach Schmerzen“, aber man ist als Laie oder vielleicht auch, wenn man noch jung ist, gar nicht so im Bilde, was es denn für Schmerzen gibt überhaupt … Also auch die Formulierung rein sprachlich vielleicht … Ich glaube, da müssen beide dazu lernen, die Ärzt*innen und die Patient*innen.
00:35:11.221–00:35:33.588
Eirini: Ja, zum Beispiel, ich hatte auch dieses Gefühl, dass ich die Tage verliere. Ich habe drei Tage am Stück mit Schmerz verloren, aber der Arzt konnte dann nicht verstehen, was ich damit meine. Es gibt keine gemeinsame Kommunikationsart.
00:35:40.687–00:37:00.780
Tim (med.): Also ich bin seit mittlerweile dreizehn Jahren hier am Schmerzzentrum, und Schmerzen wegkriegen tun wir in den allerseltensten Fällen. Also Heilung im Sinne, dass der Schmerz ganz weg ist, das sind nicht so viele. Aber Heilung muss ja auch nicht zwingend bedeuten, dass der Schmerz weg ist, sondern wenn der oder die Patient*in gelernt hat, damit umzugehen und trotz Schmerzen ein erfülltes Leben zu führen. Ein gewisses Mass an Veränderungsbereitschaft, an Motivation, ist unabdingbar.
00:37:03.831–00:37:26.715
Tim (med.): Schmerzbehandlung ist kein passiver Prozess für die Patient*innen, sondern ein aktiver. Wir sind eigentlich nur die Lehrer, gehen müssen sie selbst. Wir können die Patient*innen nicht heilen, in einem Sinn, dass sie eine passive Rolle einnehmen und sich heilen lassen wollen. Sie müssen aktiv mitarbeiten.
00:37:29.003–00:38:07.143
Tim (med.): Die Wunderpille oder Wunderspritze gegen chronischen Schmerz ist eine Utopie. Dazu ist das Phänomen zu komplex und vielschichtig. Auch ein ganz wichtiger Punkt ist, dass die Tatsache, dass wir Psychiater*innen und Psycholog*innen mit im Team haben, nicht gleichzusetzen ist damit, dass wir sie für „verrückt“ halten, oder dass sie sich ihren Schmerz einbilden oder so. Schmerz ist immer real für die betroffene Person, aber die klassischen schulmedizinischen Methoden reichen vielleicht nicht aus, um ihn zu verringern. Ich habe aber das Gefühl, in den Jahren, in denen ich mich schon der Schmerzmedizin widme, wird die Grundakzeptanz von Psychologie besser.
00:38:10.957–00:38:16.296
Tabea: Ja, das hört sich jetzt alles sehr gut und selbstverständlich an, von eurer Seite, aber auf der anderen Seite, bei den meisten Schmerzpatient*innen, scheint das alles noch gar nicht so bekannt zu sein.
00:38:18.585–00:38:32.315
Cornelia: Allerdings! Wenn ich dies alles gewusst hätte, wäre ich bestimmt einmal in eine Schmerzklinik wie eure gegangen! Das ist für mich ganz neu, dass das alles so abläuft! Das hätte im Grunde einer meiner Ärzte auch wissen müssen.
00:39:11.217–00:40:38.938
Cem (med.): Hallo, ich löse den Tim ab … Ja, das ist grundsätzlich richtig. Der Bereich der Schmerz-Edukation ist nicht sehr einfach. Das ist quasi wie eine pädagogische Zusatzaufgabe für die Ärzt*innen. Da geht es um buchstäblich erzieherische und pädagogische Ziele. Und leider haben die wenigsten Ärzte Erfahrung im pädagogischen Bereich oder gar eine Ausbildung in Erwachsenenweiterbildung. Aber da gehörte das Thema hin. Dies ist eher ein Ressort der Psychologie, aber das reicht nicht aus. Beim Schmerz geht es ja darum, dass etwas bewusst wird. Ich habe Knieschmerzen, und ich bin mir in dem Fall meines Knies bewusst. Wenn ich keine Schmerzen habe, bin ich mir des Knies nicht aktiv bewusst. Durch die Schmerzen wird also ein Körperteil oder etwas, das vorher unbewusst war, bewusst. Es geht also auch um Bewusstseinsbildung. Also denke ich, dass die Schwierigkeit auch darin liegt, dem oder der Patient*in dies zu vermitteln.
00:41:01.059–00:41:03.059
Cem (med.): Es braucht aber meiner Meinung nach dafür keinen Facharzt in Schmerzmedizin, sondern es ist gut, dass dies eine Teamaufgabe ist, die Zusammenarbeit erfordert.
00:41:10.212–00:41:33.859
Tabea: Aber dann müssten eigentlich ALLE Ärzt*innen und Therapeut*innen in Schmerzmedizin aufgeklärt werden. Schon im Grundstudium oder in der Grundausbildung.
00:41:36.910–00:42:18.864
Cem (med.): Ja, aber dies ist sehr häufig auch für Kolleg*innen der Schulmedizin sehr schwierig nachzuvollziehen, weil es ein Verständnis für verschiedene Wirklichkeitsebenen voraussetzt. Also eben, dass man mit verschiedenen Disziplinen zusammenarbeitet, dass eben die Arthrose, die ich beim Patienten gefunden habe, nicht die einzige Wahrheit ist, sondern dass aus einer anderen Perspektive auch noch eine andere Wirklichkeitsebene hineinspielt, die vielleicht auch dazu beiträgt, den Schmerz aufrecht zu erhalten. Oder soziale Aspekte – dies ist noch viel schwieriger, da noch vielfältiger in der Variation.
00:42:23.440–00:42:25.440
Tabea: Noch schwieriger zu kommunizieren oder herauszufinden? Oder was ist das Komplizierte an den sozialen Umständen?
00:42:38.696–00:43:29.803
Cem (med.): Jede Person hat natürlich ihre eigene soziale Geschichte, lebt in einem unterschiedlichen sozialen oder kulturellen Raum mit gewissen Anforderungen, wie beispielsweise in einer leistungsorientierten Gesellschaft. Das verbindet uns, aber wie wir damit umgehen, oder was für gesundheitsfördernde Faktoren wir darin haben, um uns gesund zu halten, das ist natürlich sehr individuell. Es ist jedenfalls wichtig, festzustellen, was pathologisch ist. Aber in der Schmerzmedizin weiss man, dass man mit diesem Ansatz gar nicht viel weiter kommen kann, sondern man muss eben vor allen Dingen schauen, was macht gesund oder was erhält die Gesundheit, und was sind die Ressourcen des oder der Patient*in.
00:43:42.770–00:44:21.673
Cem (med.): Die Ebenen in der Abklärung sind demnach: Was ist pathologisch? Wie bewegt sich der Mensch, was hemmt Bewegungen, was vermeidet er? Und auf der dritten Ebene schaut man: Wie geht es dem Menschen eigentlich seelisch, was denkt er, was fühlt er? Wichtig ist, dass man das Gesamte sieht, dass man nicht einfach sagt: „Das ist nur der Körper, der Schmerzen erzeugt, oder es ist alles nur psychisch.” Das würde dem/der Patient*in nicht gerecht werden, weil er oder sie ist ja immer Körper UND Psyche. Er oder sie ist eben ein Ganzes, das aus Psyche und Körper beispielsweise, aus Denken, Fühlen und Wollen, existiert.
00:44:18.622–00:44:20.622
Tabea: Vielleicht kannst du noch kurz etwas zu deiner medizinischen Ausbildung sagen?
00:44:29.300–00:45:12.016
Cem (med.): Also, ich bin von der Fachrichtung her Neurochirurg, dann habe ich eine Ausbildung in Schmerztherapie gemacht und in interventioneller Schmerztherapie, und aktuell mache ich gerade eine Ausbildung in anthroposophisch erweiterter Medizin. Dort arbeitet man eben mit den menschenkundlichen, geisteswissenschaftlichen Forschungen von Rudolf Steiner, Ita Wegmann und anderen, die die Begründer*innen der interdisziplinären, multimodalen Therapieansätze sind, sozusagen.
00:45:13.542–00:45:33.375
Cem (med.): Dort hat man festgestellt, dass die Gesundheit nicht nur durch das Denken, sondern auch durch das Fühlen und den Willen beeinflusst wird.
00:45:37.952–00:45:39.952
Cem (med.): Wir können nur etwas als sinnhaft betrachten, zu dem wir mit dem Gefühl auch eine Zustimmung haben.
00:45:56.259–00:45:58.259
Tabea: Aber es ist wahrscheinlich für Viele, die jahrzehntelang an chronischen Schmerzen leiden, schwierig, dem Ganzen eine Sinnhaftigkeit abzugewinnen?
00:46:03.123–00:46:05.123
Cem (med.): Das ist richtig, schulmedizinisch gesehen ist es sogar so, dass dem chronischen Schmerz die Sinnhaftigkeit abgesprochen wird.
00:46:13.803–00:46:15.803
Cornelia: Also, ich finde das ganz hervorragend, wie Sie das gerade dargestellt haben. Selbst die Sinnhaftigkeit habe ich plötzlich bei mir auch irgendwie entdecken können. Ich denke, wenn jemand, so wie ich, sehr aktiv ist, dann ist die Migräne wie ein Zurückziehen davon.
00:46:35.161–00:47:07.198
Cem (med.): Ja. Bei der anthroposophisch erweiterten Medizin geht es nicht darum, die Schulmedizin abzulehnen, sondern sie um geisteswissenschaftliche Aspekte, die nicht naturwissenschaftlich erklärbar sind, zu erweitern.
00:47:01.859–00:47:13.011
Tabea: Hättest du denn einen Vorschlag oder eine konkrete Idee, wie man dieses Wissen besser nach ussen tragen könnte?
00:47:13.301–00:47:49.915
Cem (med.): Also, ich denke, das, was wir heute machen, ist schon mal sehr gut, das ist ein Format, das sicherlich auch die Hemmschwelle nehmen kann. Viele Patient*innen haben auch Angst vor der Diagnose Chronische Schmerzen, weil das eben häufig damit verbunden wird, dass es unheilbar ist. Und Kunst ist sicherlich auch ein sehr spAnne (Sozialwissenschaftlerin):nder Weg der Kommunikation, weil sie eben diesen hohen geistigen Freiheitsgrad im Ausdruck und Vermitteln hat.
00:47:53.729–00:48:31.868
Tabea: Ich denke, dass Kunst auch deshalb wertvoll ist, weil sie chronischen Schmerz aus der Medizin dekontextualisiert, und man somit andere Perspektiven einnehmen kann und auch eine andere Gesprächsebene zum Thema bietet.
00:48:42.547–00:48:56.277
Cornelia: Ich wäre jedenfalls eine Kandidatin für die Schmerzklinik gewesen! Aber wenn ich mir das so anhöre, bin ich selbst keinen so schlechten Weg gegangen, ich musste ihn mir einfach selbst erarbeiten.
00:49:28.315–00:49:42.808
Tabea: Wenn jemand chronische Schilddrüsenprobleme hat und gleichzeitig Migräne, dann muss sie zu zwei verschiedenen Ärzten gehen, die nicht miteinander kommunizieren. Ich glaube, es ist ein Problem von Trennung anstatt holistischem Herangehen.
00:49:44.333–00:49:46.333
Cornelia: Ja, es ist eine getrennte Welt, und ich finde, was der Arzt gerade gesagt hat, dass man eben die Ansichten kombiniert, das ist eigentlich das Positive daran.
00:50:14.844–00:50:16.844
Cornelia: Ich finde es gerade total spAnne (Sozialwissenschaftlerin):nd, weil ich praktisch in diesem Gespräch meine Migräne auf eine Art „rückwärtsverstehen“ kann, was da über die vielen Jahre abgelaufen ist.
00:51:01.375–00:51:03.375
Tabea: Jetzt hat sich noch Karina zu uns gesellt, sie ist Physiotherapeutin hier am Schmerzzentrum. Wie „liest“ du denn die Patient*innen?
00:51:19.524–00:52:06.243
Karina (physio.): Also zum einen mal einfach, indem ich sie beobachte, wenn sie sich nicht beobachtet fühlen, dann spricht der Körper auch schon viele Sprachen. So kann ich Bewegungsmuster sehen, die automatisch stattfinden. Dann erzählen sie mir vielleicht ein bisschen offener über ihr Leben, da sie nicht vor einem Arzt oder einer Ärztin sitzen. Dies ist dann auch wertvolle Information für das Team.
00:52:17.736–00:52:19.736
Tabea: Kann man sagen, dass es in dem Sinne auch die Aufgabe von allen Therapeut*innen und Ärzt*innen ist, dass sie sich auch um Informationen für die anderen im Team bemühen und dafür verantwortlich sind? Das heisst, nicht nur auf ihre Disziplin schauen, sondern im Austausch gemeinsam die benötigten Informationen über die Patient*innen sammeln?
00:52:36.301–00:53:18.737
Karina (physio.): Ja, also ich denke, ein ganz wichtiger Punkt ist, dass man lernt, über den Tellerrand zu schauen. Aber dann, wenn du über den Tellerrand guckst, deine Grenzen auch kennst. Zu wissen, wann bei dir Schluss ist, wann‘s wirklich ein beispielsweise psychologisches Problem ist. Oder muss er oder sie doch noch mal zur Ärztin zur Abklärung? Weil …, ja, auch bei chronischen Schmerzpatient*innen etwas vorkommen kann, das akut ist. Und dann auch ehrlich sein und zugeben, wenn man etwas nicht kann oder nicht richtig einschätzen kann. Das ist etwas, was vielen Behandelnden schwer fällt.
00:53:32.882–00:53:34.882
Tabea: Ich funktioniere hier in meinem Luftobjekt ja sozusagen als Gesprächsschnittstelle zwischen dem Schmerzzentrum und Menschen, die sich digital von ausserhalb eingeschaltet haben. Gibt es gerade Fragen?
00:53:43.933–00:53:45.933
Evelyne (Performerin): What is your link between art and chronic pain? Why is it your topic?
00:53:53.658–00:54:36.977
Tabea: Die Motivation für das Thema hat sich aus einer eigenen zweijährigen Schmerzerfahrung, der thematisch ausgeschriebenen Residenz des artists-in-labs Programm der ZHdK und meiner Suche nach einem transdisziplinär verknüpfbaren Thema für meinen Masterstudiengang ergeben.
00:54:58.637–00:55:32.232
Karina (physio.): Also, wenn es wirklich ein chronischer Schmerz ist, dann kommen immer viele Sachen zusammen. Das sind in der Regel auch Faktoren wie Genetik, Veranlagung, Erziehung, kulturell bedingter Umgang mit Schmerz, Erfahrungen, die Arbeit, die Wohnlage, all das … Auch Herkunft spielt eine Rolle, in jedem Land wird Schmerz ein anderer Umgang und eine andere Bedeutung zugedacht.
00:55:30.905–00:55:38.862
Evelyne (Performerin): Do you think it could be like almost be a choice to have this constant pain?
00:55:40.188–00:55:58.754
Karina (physio.): Vermeintlich schon. Aber man muss wie verstehen, warum man die hat und was einem die Schmerzen sagen wollen. Wenn man lernen kann, sie nicht als Feind zu sehen, sondern als Freund und Wegweiser …
00:56:06.710–00:56:27.486
Tabea: Wir haben vorhin mit Cem schon darüber gesprochen. Er hat von Sinn und Sinnhaftigkeit des Schmerzes gesprochen. Und es ist für Viele, die seit Jahrzehnten an Schmerzen leiden, schon schwierig, eine Sinnhaftigkeit darin zu sehen. Aber den Schmerz als Freund zu sehen, stelle ich mir noch komplizierter vor.
00:56:26.160–00:56:48.704
Karina (physio.): Ich glaube aber, wenn das die Patient*innen verstehen können, dass der Schmerz kommt, wenn sie wieder einmal über die Stränge geschlagen haben und dann anhand davon spüren lernen, wann es zu viel ist oder wann gerade etwas nicht stimmt in der Art, wie sie ihr Leben führen. Und das dann auch anpacken. Dann denke ich schon, dass man den Schmerz als Freund sehen kann.
00:57:06.385–00:57:17.878
Tabea: Aber irgendwann hat man vielleicht auch mal über alle Lebensstränge nachgedacht und achtet auf sich und der Schmerz bleibt trotzdem?
00:57:17.878–00:57:29.813
Karina (physio.): Ja, das mag vielleicht für unsere Generation stimmen, da wir eine vergleichsweise sehr reflektierte Generation sind, aber die ältere Generation ist lange nicht so geübt im Reflektieren und im darüber Nachdenken, wie man sein Leben führt.
00:57:33.791–00:57:43.074
Cornelia: Also ich würde sagen, als Freund würde ich meine Migräne nicht sehen, aber man muss es einfach irgendwann respektieren, dass man das hat, und dann kann man schon sehr gut damit umgehen.
00:57:45.284–00:57:47.284
Tabea: Cornelia, kannst du das bestätigen, dass deine Generation nicht so geübt ist im Reflektieren?
00:57:53.683–00:58:14.016
Cornelia: Ja, absolut. Ich sehe dies bei meinen Kindern und Enkelkindern, da ist eine ganz andere Art der Erziehung und des Denkens und auch des medizinischen Wissens. Das ist heute sehr anders. Es gibt ja Leute, die gehen zum Arzt und sagen: „Ich habe gegoogelt, ich habe so etwas wie dies …“, und wollen es nur noch bestätigt haben.
00:58:35.676–00:58:57.336
Karina (physio.): Ich bin erstaunt, wie wenig dies bei uns trotzdem vorkommt. Also es gibt schon Patient*innen, die schon vorinformiert kommen von „Dr. Google“, aber nicht so viele.
00:59:17.227–00:59:19.227
Cornelia: Ich denke, die Gefahr des Internets ist ein Halbwissen, dass sich jemand informiert und dann denkt: „Ah ja, das habe ich auch, das auch und das auch …“
00:59:30.930–00:59:54.358
Karina (physio.): Ja, schon, aber ich habe trotzdem das Gefühl, dass das Gesundheitsverständnis deutlich besser geworden ist in den letzten sieben Jahren. Es werden halt aber immer noch viele Dinge unterrichtet, die eigentlich unter den Schmerztherapeut*innen klar sind, dass das nicht mehr stimmt.
01:00:01.431–01:00:12.924
Karina (physio.): Für mich ist es einfach wichtig, meine Patient*innen immer nach meinem aktuellsten Wissenstand aufzuklären, ihnen aber immer den freien Willen zu lassen, für was sie sich entscheiden wollen.
01:00:25.301–01:00:58.011
Evelyne (Performerin): I have a little bit that thing with my father, he has a lot of pain in his neck, because he is standing and walking in a totally wrong posture, but he only goes to the old fashioned kind of doctors, because he is convinced, that he only needs a pill against the pain and refuses to do anything else. So me, as his daughter, I looked up things in the internet to make him move better and tried to convince him to try something else also,… but nothing to be done …
01:01:40.447–01:02:18.462
Karina (physio.): Ja, das ist das, was ich vorhin gemeint habe damit, dass der Umgang mit Schmerzen so stark auch davon abhängt, wie man erzogen wurde. Man hat eine Erkältung, die kommt drei Tage, die bleibt drei Tage, die geht drei Tage. Aber man geht am Höhepunkt zum Arzt, bekommt ein Medikament und denkt, deswegen ist es besser geworden. Als ob der Körper das nicht selbst mit genügend Ruhe auch schaffen würde. Und die Generation von Cornelia wurde noch viel mehr in die Richtung erzogen: Man ist krank, man geht zum Arzt und der macht einen gesund, der Halbgott in Weiss.
01:02:21.556–01:02:48.520
Karina (physio.): Man darf Patient*innen nicht überreden zu etwas, und deswegen muss man sie halt manchmal die Erfahrung machen lassen, zuerst noch zu fünf anderen zu rennen, die nicht helfen können.
01:03:01.781–01:03:30.955
Karina (physio.): Dann gibt es ja schon auch noch die Plastizität des Gehirns, wo sich der Schmerz einbrennt, aber in der Regel führen Patient*innen, die reflektiert auf ihren Schmerz schauen können und ungefähr wissen, wie er mit ihrem Leben verschränkt ist, trotz Schmerzen ein sehr gutes und zufriedenes Leben.
01:03:37.144–01:03:50.405
Chris (Künstler): I am back! How are you? Are you ok in there? It is a long time, four hours in that bubble?!
01:04:00.572–01:04:02.572
Tabea: I am fine, thanks! Having a little bit technical issues with the internet-bandwidth …
01:04:11.181–01:04:26.210
Cornelia: Wer ist jetzt neu dabei vor Ort?
01:04:23.115–01:04:58.920
Irène H.: Ich bin Irène Hediger und leite das artists-in-labs Programm an der Zürcher Hochschule der Künste. Und die Tabea ist hier als Künstlerin durch unser Programm. Wir bringen Künstler*innen und Wissenschaftler*innen zusammen mit dem Ziel eines Austausches auf Augenhöhe, damit man gewohnte Dinge aus einer anderen Perspektive oder einem anderen Blickwinkel heraus betrachten und neue Erkenntnisse gewinnen kann, für beide Seiten.
01:05:07.319–01:05:55.500
Irène H.: Wir sind auf das Thema Chronischer Schmerz durch ein Ethikinstitut gekommen, welches auf uns zukam. Geforscht wird dort unter anderem auch zu chronischem Schmerz. Und wir fanden dies sehr spAnne (Sozialwissenschaftlerin):nd, gerade aus dem Grund heraus, dass chronischer Schmerz etwas so Komplexes ist, dass es interdisziplinär angegangen werden muss. Und dann gibt es offensichtlich auch einen Kommunikationsbedarf zum Thema, da man scheinbar nicht viel darüber liest und hört, wenn man selbst nicht davon betroffen ist.
01:06:11.414–01:06:11.414
Tabea: Überhaupt zu sensibilisieren für dieses Thema?
01:06:19.371–01:07:01.806
Irène H.: Ja. Und Kunst, wir denken einfach, wenn ein*e Künstler*in, egal welche Disziplin, in so ein Fachgebiet reingeht, dann hat sie oder er einfach andere Fragen … Das sind dann vielleicht Fragen, die einem schon seit Jahren niemand mehr gestellt hat, weil man ja seine Praxis und ganz bestimmte Abläufe hat. Dies kann sehr viel auslösen.
01:07:17.277–01:07:31.422
Tabea: Ja, das hat auch Cornelia schon erwähnt, dass es einen Wert hat, über das Thema auf einer dekontextualisierten Ebene wie der Kunst zu sprechen und zu reflektieren.
01:07:49.104–01:08:31.097
Cornelia: Also für mich sah ich, dass es sehr, sehr bereichernd war, weil ich eigentlich schon seit Jahrzehnten damit selbst fertig werden musste, und für mich sind jetzt viele Erkenntnisse gekommen. Durch erstmal deine Fragen, Tabea, in unserem Gespräch, und jetzt heute nochmals. Also ich muss sagen, das ist ganz was Tolles, was du da machst, wirklich, und zwar – ich hab‘s ja selbst erarbeiten müssen über die vielen Jahre, und ich würde jedem wünschen, sich früher damit auf verschiedene Arten auseinandersetzen zu können. Ich finde es auch gut, dass die Hochschule so etwas unterstützt. Es scheint mir ungewöhnlich, dass sie sich in so verschiedene Gebiete traut.
01:08:34.191–01:08:45.684
Tabea: Vielen Dank! Jetzt haben wir gerade noch Irene Vögeli vom Kernteam des Master Transdisziplinarität bei uns …
01:08:48.778 — 01:09:51.989
Irene V.: Also, so gesehen machst du ja jetzt gerade nicht nur „Werbung“ für die Schmerzklinik, sondern auch für den Bereich der Transdisziplinarität an der Zürcher Hochschule der Künste. Und ich glaube, was Sie sagen Cornelia, es ist natürlich unser „Kerngeschäft“ sozusagen, uns in andere Bereiche vorzuwagen und möglicherweise Anderes zum Vorschein zu bringen, als wenn die Expert*innen des spezifischen Bereichs sich damit befassen. Und das ist eigentlich unser Verständnis von Transdisziplinarität, dass man sich zum Beispiel in das Fachgebiet Chronischer Schmerz als Laie hineinbegibt, aber mit den Expertisen, die man als Künstlerin oder Künstler mitbringt.
01:09:58.178 – 01:11:14.208
Irène H.: Das ist ja jetzt auch wichtig in der Zusammenarbeit: Dass wir Künstler*innen helfen zu solchen Orten Zugang zu schaffen. Dieser Austausch beeinflusst dann ja wiederum die Herangehensweise in den Künsten – mit welchen Medien Künstler*innen arbeiten, mit welchen Themen und so weiter. Und da ist ja auch immer die Hoffnung, dass man einen Beitrag zu wichtigen Themen leisten kann, sei dies zum Verständnis, sei dies, indem ein anderer Aspekt aufgezeigt wird oder sei es überhaupt damit in Kontakt zu kommen und eine Form von Sensibilisierung zu generieren, bei sich selbst. Und dieses Verstehen, das ist wirklich so die erste Zeit, ist eigentlich die grosse Arbeit. Wie versteht man sich, wie verständigt man sich über den eigenen Fachbereich hinaus. Es geht gar nicht darum, danach die gleiche Sprache zu sprechen, aber um die Frage, wie man gegenseitig etwas zum Bereich des andern beitragen und somit zu einem besseren Verständnis beitragen kann.
01:11:52.223–01:11:54.223
Tabea: Ich halte noch durch, aber die Technik irgendwie nicht mehr. Vielen Dank euch allen!
down TRANSCRIPT
next RESEARCH MOVEMENT
Aus der positiven Erfahrung der Einzelgespräche und den andauernden Pandemiemassnahmen, welche mir nach wie vor den Zugang zur Schmerzklinik unmöglich machten, entstand die Idee, performativ auf die aktuellen Einschränkungen zu reagieren. Ich entschloss mich dazu, das bisher nur in Einzelgesprächen erprobte Dialogkonzept (siehe PAIN DIALOGUES) in eine digitale und physische Hybridform zu bringen und für eine Gesprächsgruppe zu öffnen. Die Gesprächs-Performance [1] vor dem Eingang zum Schweizer Paraplegiker-Zentrum Nottwil fand am 7. März 2020 statt und verband den virtuellen Raum der bisher geführten Gespräche mit dem physischen Raum des Residenzortes.
Ein szenografisches Luftobjekt, welches ich schon länger in immer unterschiedlichen Kontexten auslote, diente als performatives und visuelles Verbindungselement für eine Gesprächsbrücke. Für die Dauer von vier Stunden isolierte ich mich im geschlossenen Luftobjekt, stellte in künstlerischer Weise die Gesprächsbrücke her und konnte selbst nur auf digitalem Weg kommunizieren. Es interessierte mich, wer sich wie beteiligen würde, wie zugehört und diskutiert werden würde und was für Resultate aus der Aufzeichnung hervorgehen könnten.
Die Performance hatte vier Ebenen: Eine physische Ebene, draussen vor dem Eingang zur Schmerzklinik, mit mir als Performerin im Luftobjekt eingeschlossen. Eine weitere physische Ebene, mit Laptopstation, einige Meter vor dem Objekt aufgebaut, an der Klinikmitarbeiter*innen zuhören oder sich direkt am Gespräch beteiligen konnten. Ferner eine digitale Ebene, zu der sich eingeladenes Publikum [2] und an der Performance Interessierte per Videotelefonie dazuschalten konnten, sowie eine zweite digitalen Ebene, welche aus einem offenen Livestream ohne Ton, mit der Innenansicht des Luftobjektes und mir als Performerin bestand.
Diese künstlerische Intervention thematisierte in offener Form chronische Schmerzen an sich, aber auch in Reibung mit der aktuellen Pandemiesituation, ihrer Isolation, der Unsicherheit der Zukunft, dem Eingeschlossensein und der Schwierigkeit des Sich-Mitteilens, wenn gewohnte Wege nicht mehr funktionieren. All dies sind Themen, mit denen sich Schmerzpatient*innen grundsätzlich auseinandersetzen müssen und so plötzlich zu Expert*innen in einer für alle Menschen sehr herausfordernden Situation werden konnten.
Am Gespräch beteiligten sich Menschen aus der Medizin, Kunst und Sozialwissenschaften, sowie von Schmerzen direkt Betroffene. Nachfolgendes Transkript gibt Einblick in das Gespräch.
next RESEARCH MOVEMENT
next RESEARCH MOVEMENT