7. Versuch
mit Thordis M. Meyer
21.-23. März 2019
Berlin
Wir sind nicht einverstanden mit der Beschreibung der Sirenen. Daher lesen wir die Odyssee von Homer, von dem sich unser heutiges Bild der Sirenen zwar unterscheidet weil es im Laufe der Geschichte immer wieder um-interpretiert wurde, auf das es sich dennoch beruft. Das ist der Fall, weil Homer den Mythos verschriftlicht. Diese Fixierung geht zeitlich Hand in Hand mit dem Aufschwung der Wissenschaft zur Herrschaft über das menschliche Denken und wenn auch dem Epos selbst auf Dauer kein Wahrheitswert zugeschrieben werden kann*, so gehen doch alle nicht schriftlich festgehaltenen Versionen dieser Geschichte in der Vorherrschaft der homerischen Version unter.
Das ist einerseits der Natur der verbalen Weitergabe geschuldet. Diese ist veränderbarer als die Schrift, die sich anfangs nur alle paar hundert Jahre und heute mit der nächsten Ausgabe erneuern kann. Zwar ist auch die schriftliche Form mit jedem Lesen eine andere**, aber aufgrund der fehlenden verbalen Tradition ist hierdurch keine nachhaltige Veränderung innerhalb der Menschheitsgeschichte zu erwarten***. Diese fast biologisch anmutende Erklärung unterschlägt die nicht minder wirksame Entwicklung, die dieses narrative Wissen durch seinen sprach-logischen Bezug zur Welt durchmacht und infolge derer sie Ihre Legitimation wenn nicht gar ihre Existenz einbüßt:
Daher verbindet es [das narrative Wissen, Anm. KH] mit seinem Unverständis gegenüber den Problemen des wissenschaftlichen Dirkurses eine gewisse Toleranz: es fasst ihn zunächst als eine Spielart der Familie narrativer Kulturen auf. Die Umkehrung ist nicht wahr. Der Wissenschaftler fragt nach der Gültigkeit narrativer Aussagen und stellt fest, daß sie niemals der Argumentation und dem Beweis unterworfen sind.
Lyotard, Das postmoderne Wissen, S. 84f
Und damit besitzen die Aussagen narrativer Übermittlungen keine Gültigkeit vor dem wissenschaftlichen Diskurs, der, da er anstrebt, die Welt in Gänze zu beschreiben, jene schließlich zunichte macht.
Ein weiterer Grund für das Versiegen der verbalen Weitergabe des Mythos durch die schriftliche Fixierung liegt aber auch in der Struktur des erstarkenden und heute übermächtig gewordenen logischen/wissenschaftlichen/aufklärerischen Denkens, das schon in seinen zartesten Auswüchsen zur Fixierung des Mythos erst führte und das in diesem selbst angelegt ist:
Der Mythos wollte berichten, nenne, den Ursprung sagen: damit aber darstellen, festhalten, erklären. Mit der Aufzeichnung der Mythen hat sich das verstärkt. Sie wurden früh aus dem Bericht zur Lehre.
Adorno / Horkheimer, „Dialektik der Aufklärung”, S. 11
Das aufklärerisch/wissenschaftlichen Denkens strebt nach Kohärenz, der einen, einheitlichen Geschichte/Theorie die alles erklärt, dem „System, aus dem alles und jedes folgt” (Adorno / Horkheimer, „Dialektik der Aufklärung”, S. 10):
Aber indem der homerische Geist der Mythen sich bemächtigt, sie „organisiert”, tritt er in Widerspruch zu ihnen. […] Die homerische Rede schafft Allgemeinheit der Sprache, wenn sie sie nicht bereits voraussetzt […].
(Adorno / Horkheimer, „Dialektik der Aufklärung”, S. 42)
In dem Sinne möchte man anfügen: es entsteht die Möglichkeit den Widerspruchs wo vorher zahlreiche Versionen und Perspektiven zwar auch Dinge erzählten die einander negiert hätten, dies aber nie taten, da sie ja unterschiedliche Perspektiven verkörperten und daher unterschiedliches waren und so nicht ein und dasselbe bedeuten konnten. Dieses Bedürfnis nachvermeintlicher Identität (in Abstraktion und Bedeutung) kommt erst mit dem wissenschaftlichen / aufklärertischen / sprach-logischen Denken auf.
Folgendes passiert: wir haben unendliche Gespräche, ob und wie es möglich wäre, den Mythos anders zu lesen, wo in ihm Anhaltspunkte für einen Mythos der Sirenen liegen könnten. In den Versuchen, einen solchen Mythos sprachlich zu entwickeln, aber auch in unseren onomatopoetischen Ansätzen der Nacherzählungen bemerken wir doch immer wieder, dass wir viel von Odysseus und seinen Männern sprechen. Wir wissen nicht viel über die Sirenen, nur das, was Odysseus wusste, erzählt hat, was Homer uns sagt, was Odysseus über sie erzählt hat. Und diese Dinge sagen nicht wirklich etwas über die Sirenen aus, sondern über die, die von ihnen erzählen und wie sie wollen, dass wir diese sehen.
Ähnlich S. de Beauvoir S. 84:
„Ganz augenscheinlich sind diese Behauptungen nich das Ergebnis einer wissenschaftlichen Entdeckung, sondern ein Glaubensbekenntnis.”
(und sind es auch in Zukunft, wenn die Sirenen re-interpretiert werden)
und weiter unten, S. 85:
„Zur Zeit, als das Menschengeschlecht sich zur schriftlichen Niederlegung seiner Mythologien und Gesetze aufschwingt, ist das Patriarchat endgültig konstituiert[…].”
Dieses Bild der Sirenen ist so vereinfacht und auf Leben und Tod, gut und böse reduziert, dass jeder unserer Versuche, diese anders zu sehen, jeder Gegenentwurf, auf ein Gegenteil des Entwurfs hinausläuft. Und in dieser Negation liegt die Bestätigung des erzählten Mythos, denn es ist der Versuch, „die andere” Perspektive zu erzählen. Die Annahme, dass dies möglich sei, bedeutet schon das Scheitern dieses Versuchts, den Verlust einer unserer expliziten oder impliziten Grundannahmen, welch Wonne.
// oder
Wir meinen, den Inhalt des Mythos zu widerlegen, doch wir folgen seinem formalen Denken, seiner Ordnung der Welt, insofern wir „sein Gegentiel” erzählen wollen. Es ist doch dieses Gegenteil, das Homer konstatiert, Odysseus vs Sirenen, jene und die andere Perspektive. Und so bestätigen wir ihn erneut, erzählen wir ihn erneut, den Mythos von Odysseus, wenn wir den, der SIrenen erzählen.
Die Geschichte der Sirenen läss sich genausowenig erzählen wie die der Frauen:
S. de Beauvoir S 142
„[…] die gesamte Geschichte der Frauen ist von Männern gemacht worden. Ebenso, wie es in Amerika kein schwarzes Problem, sondern nur ein weißes gibt, ebenso wie „der Antisemitismus kein jüdisches Problem ist, sondern unser problem”, so ist auch das Frauenproblem stets nur ein Problem der Männer gewesen.”
Warum
Homers Schrift ferfestigt
Sicher, wir wissen, dass jede „Wahrheit einen Zeitkern” (DdA S. IX) hat und versuchen den Mythos stets so zu lesen, so wie Kittler, wenn er seine Überlegungen zur Odyssee auf sprachlichen Analysen des Griechischen baut. Doch so übersieht er und übersähen wir, dass dieser Zeitkern doch überdauert hat und uns bis heute quält, wenn wir weiterhin ignorieren, ihn als historische Faktizität zu behandeln. [Fußnote Kittler:zwar liest er die Sirenen in ihrer Dualität als männliche Phantasie, doch dass er diese selbst wiederholt in seinen Versuchen bei li Galli, bleibt unreflektiert.]
S. d Beauvoir, S. 149
„ Die Tatsache, welche die gegenwärtige Situation der Frau bestimmt, ist das hartnäckige Überleben der ältesten Traditionen in einer neuen Zivilisation, deren Grundlinien sich bereits abzeichnen.”