Mit Filmen von:
Mareike Bernien und Alex Gerbaulet
Gisela Tuchtenhagen & Serap Berrakkarasu
Pary El-Qalqili und Christiane Schmidt
Natascha Sadr Haghighian
Navina Sundaram
Aysun Bademsoy
Cana Bilir-Meier
Pınar Öğrenci
Hatice Ayten
Želimir Žilnik
Julian Vogel
Sefa Defterli
İlker Çatak
Shelly Silver
SA., 9. NOVEMBER, HFG OFFENBACH (AULA)
HOCHSCHULE FÜR GESTALTUNG, SCHLOSSSTRASSE 31, 63065 OFFENBACH, HAUPTEINGANG
9H30 — 20H, Eintritt frei / free admision
9H30
EINLASS/ADMISSION
Ein langer Tag mit kürzeren experimentellen, dokumentarischen, künstlerischen Filmen / A long day of shorter experimental, documentary, and artistic films
10H
BEGRÜSSUNG/WELCOME ADDRESS
HINSEHEN, ZUHÖREN / WATCHING, LISTENING
Der Tag startet mit Töchter zweier Welten (1991); Serap Berrakkarasu (Drehbuch/Regie) und Gisela Tuchtenhagen (Kamera) drehten vor über 30 Jahren ein parallelmontiertes Filmportrait über Mütter und Töchter der ersten und zweiten türkisch-deutschen Generation kurz nach der deutsch-deutschen Wiedervereinigung. Zugewandtes Zuhören und eine aufmerksame, nie exponierende Kamera machen Stil und Haltung von Berrakkarasu und Tuchtenhagen aus. In ihrer gemeinsamen, nur wenige Filme umfassenden Filmarbeit lassen sie sich leiten von Interesse und Zuneigung für die Menschen vor der Kamera und für die Möglichkeiten, die das Filmemachen herstellt, mit ihnen Zeit zu verbringen und einen Raum zu teilen.
11H30
ARCHITEKTUREN / ARCHITECTURES
Verkehrsregeln, Hausordnungen, Verbote, Putzpläne, Zuweisungen, Zulassungen, Ausweise. Für alles gibt es Regeln. Regeln für Wohnraum für nicht-deutsche Arbeitskräfte sind keine Ausnahme. Anfangs waren die deutschen Firmen verpflichtet, für die aus Spanien, Italien, Griechenland oder der Türkei angeworbenen Arbeiter*innen Wohnraum zur Verfügung zu stellen; mit der Arbeitserlaubnis war auch die Wohnerlaubnis verbunden. Arbeitslosigkeit bedeutete sofort Verlust der Wohnung. Der Filmemacher Želimir Žilnik, der Anfang der 1970er-Jahre aus Jugoslawien vor Titos restriktiver Kulturpolitik in die BRD geflohen war, macht Hausordnung (1975) gemeinsam mit Hausmeister*innen und Hausbewohner*innen. Ihre kollaborative filmische Intervention treibt die Überregelung auf die Spitze. „Kein Besuch aufs Zimmer“, „Keine Musik nach 21h“ werden während des Drehs ausgesetzt; das bringt auch den erfahrenen Kameramann Thomas Mauch in Schwingungen. Produziert wurde Hausordnung von der Regisseurin und Kamerafrau Vlada Majic.
Pınar Öğrenci nimmt in ihrem essayistischen Dokumentarfilm Gurbet is a home now (2021) die kaum beleuchtete Vermietungs- und Sanierungspolitik in West-Berlin/Kreuzberg der 1970er- und 1980er-Jahre unter die Lupe. Sie interessiert sich für die „Gastarbeiter“-Frauen und Kinder in den kaputten Architekturen der Nachkriegsjahre, verdichtet die Bilder zu Raum-Mustern, erzählt aus ihnen ein volles, prekäres, einfallsreiches Leben. Bild-Material aus dem Kontext der „behutsamen Stadterneuerung“ und der Internationalen Bauausstellung von 1984-1987 montiert Öğrenci mit Fotos aus privaten Sammlungen und Kommentaren von Bewohnerinnen. Von wem die Hausbesetzer*innenszene wohl gelernt hat zu kämpfen?
Gespräch mit / In Conversation with Pınar Öğrenci (artist), Annett Busch (curator, author, translator), Duygu Gürsel (sociologist)
13H30
STIMMEN UND WEGE / VOICES AND PATHS
Gewalt sichtbar und hörbar zu machen, ihr einen Platz in der Wirklich- keit zu geben, ohne sie fortzuschreiben, verlangt gestalterischen Einfallsreichtum: Bildfindung, Tonarbeit, Auflösung, Verstärkung, Verdünnung, Konzentration, Trennschärfe, Bewegungsmuster, Oberflächen, Hintergründe usw., auch Wärme, Wut und Witz. Von diesen filmischen Vorgehensweisen können wir viel lernen, fragen was geht und was fehlt. Zum Beispiel was mit dieser Leere in diesen deutschen Städten und Landschaften los ist, die in Filmen auftaucht, die sich mit Rechtsextremismus beschäftigen. Leere Straßen, leere Fenster, viel Schweigen, latente Bedrohung. Niemand da, niemand grüßt. Eine Geografie der Ignoranz oder der Vergeltung? Wie kann man etwas erkennen, das man nicht sieht?
Dieses Programm beginnt mit dem 2. Teil der Social Media Series (Apulien 2018) von Natascha Sadr Haghighian. In der Video-Trilogie verbindet sie verschiedene Orte der Migration miteinander. Im 2. Teil fordern uns die apulischen Landschaften, Tomatenplantagen, Contai- ner, die mitgehende Kamera von Jasper Kettner heraus, wir folgen den Bewegungen einer mit einem Pappmaché Stein-Kopf herumlaufenden Figur. Herumgehen ist ein Erzählwerkzeug. Wenn nichts zu sehen ist, dann ist doch eine Menge dort los, im Untergrund, im Ton, im mitschwingenden Wissen angesichts der unsichtbaren Arbeitskräfte, um deren Existenz und Rechte es geht, viele versprengte Hinweise, die keine erzählerische Einbahnstraße füttern. Das Wort „Unterwandern“ hat hier plötzlich eine Menge konkreter Anreize.
Sprung zurück in die 1990er-Jahre. Mit OHNELAND (1995) reagiert die Duisburger Filmemacherin Hatice Ayten auf die Anschläge auf Wohn- häuser von Menschen türkischer Herkunft. Zwei junge Frauen machen ihrer Wut direkt in und durch die Kamera Luft. Sie haben nicht vor, sich von der rassistischen Gewalt einschüchtern zu lassen. Die zwischen- geschnittenen B-Ebene-Bilder in krisseligem Schwarz-Weiß erinnern an die Gefahren; dass einem spät nachts Schläge und mehr drohen konnten und es lebensnotwendig wurde, sich zu organisieren. Der Film, ein Meilenstein der Gegenoffensive, wird seit 1997 in unzähligen
FR., 8. NOVEMBER, KINOPOLIS HANAU
KINOPOLIS HANAU, AM STEINHEIMER TOR 17, 63450 HANAU
Es gelten die Eintrittspreise des Kinos, Kartenverkauf / Cinema admission prices apply, ticket sales: kinopolis.de/hu/programm
17H30
EINLASS/ADMISSION
18H
SPUREN — DIE OPFER DES NSU (AYSUN BADEMSOY, 2019)
Die Asamblea beginnt im Kinopolis mit Spuren — Die Opfer des NSU (2019), einem der ersten Filme, die im Schatten des viele Jahre dauernden NSU-Prozesses in München das Gespräch mit den Angehörigen von Enver Şimşek, Süleyman Taşköprü und Mehmet Kubaşık, die in Nürnberg, Hamburg und Dortmund ermordet wurden suchen. Aysun Bademsoy — Dokumentarfilmemacherin mit langjäh- rigem erfahrenem Blick für die wechselseitigen türkisch-deutschen Beziehungen und Erfahrungen — bricht das Schweigen, macht den öffentlich ungesehenen Schmerz sichtbar, den die Morde, die Ermitt- lungsfehler und unablässigen Verdächtigungen in die Familien der Hinterbliebenen und Freundeskreise gebracht haben. Die Vorführung des Films ist eine Hanau-Premiere.
In Anwesenheit von Aysun Bademsoy und weiteren Gästen
In Kollaboration / In collaboration with kein_schlussstrich Hessen
IM DUNKELN SEHN befragt in einem erweiterten mediengesellschaft- lichen Rahmen die künstlerisch und filmisch formulierte Kritik an den Ermittlungen von rechtsextremen Gewalttaten in Deutschland seit den 1960er-Jahren und an der Kultur der Gleichgültigkeit.
Am 4. November 2011 hat sich das NSU-Kerntrio selbstenttarnt und damit einen vielfachen Schock ausgelöst. Die rassistisch motivierten, rechtsextremen Morde in München, Halle und Hanau und unzählige weitere wurden erst im Nachgang in ihrem tatsächlichen Ausmaß erkennbar.
Künstler*innen und Filmschaffende springen immer wieder in die Bresche und beginnen dort mit ihren Mitteln zu arbeiten, wohin die Behörden nicht vordringen, wo Leugnung und Kriminalisierung der Opfer, der Überlebenden, der Angehörigen und Familien in der breiten Öffentlichkeit und vor Gericht vorherrschen. Sie legen eine „Inventur des Ignorierens“ (Natascha Sadr Haghighian) frei, suchen alternative Formen und Perspektiven, tun sich in Ausstellungsprojekten und Netzwerken zusammen.
Im Dunkeln sehen heißt innehalten, sich einlassen, den Augen Arbeit zumuten; heißt die Dinge in einem anderen Licht sehen, Gewohnheiten und Perspektiven überdenken, nochmal hinschauen, zuhören, nachfragen.
Im Dunkeln sehen heißt also, sich Erfahrungen zuwenden, die für manche offensichtlich und andere unterschwellig den Alltag prägen, bedeutet rassistische Strukturen aufspüren, die in Institutionen wirken, die spalten, ausgrenzen und verletzen.
Im Dunkeln sehen ist aber auch ein besonderes Angebot des Films: im Kino spannt sich ein Raum der Auseinandersetzung, der Hinwendung und Distanzierung auf; hier im Dunkeln sehen und hören wir konzentrierter zu, finden Zeit für neue Fragen, nehmen Kritik und alternative Gestaltungskräfte wahr.
Wir laden ein, gemeinsam Filme zu sehen und nachzudenken.
Es kommen die Filmemacher*innen Hatice Ayten, Aysun Bademsoy, Cana Bilir-Meier, Pary El-Qalqili und Christiane Schmidt, Pınar Öğrenci, Natascha Sadr Haghighian und Julian Vogel; als weitere Gäste werden Kathrin Brinkmann, Annett Busch, Daniel Fairfax, Duygu Gürsel, Angelika Levi, Björn Schmitt, Luise Schröder erwartet.
LOOKING IN THE DARK questions artistic and filmic ways. Within an extended media framework, it is investigating right-wing extremist acts of violence and the culture of indifference in Germany since the 1960s. On November 4, 2011, the NSU core trio exposed itself. The racially motivated, right-wing extremist, racist murders in Munich, Halle and Hanau and countless others only became apparent in their true extent afterwards.
Artists and filmmakers repeatedly step into the breach and begin to work with their means into matters where the authorities don’t go, where denial and criminalization of the victims, survivors, relatives and families prevail in the general public and in court. They uncover an “inventory of denial” (Natascha Sadr Haghighian), seek alternative forms and perspectives, join forces in exhibition projects and networks. Looking in the dark means pausing, getting involved, putting your eyes to work; it means seeing things in a different light, rethinking habits and perspectives, looking again, listening, asking questions.
Looking in the dark therefore means turning to experiences that obviously for some and subliminally for others characterize everyday life, means tracking down racist structures that operate in institutions that divide, exclude and hurt.
But looking in the dark is also a special offer of film: in the cinema, a space of confrontation, of turning and distancing opens up; here in the dark we can watch and listen in a more concentrated way, find time for new questions, perceive criticism and alternative creative forces.
We invite you and us to watch and reflect on films together.
The filmmakers Hatice Ayten, Aysun Bademsoy, Cana Bilir-Meier, Pary El-Qalqili and Christiane Schmidt, Pınar Öğrenci, Natascha Sadr Haghighian and Julian Vogel are coming; Kathrin Brinkmann, Annett Busch, Daniel Fairfax, Duygu Gürsel, Angelika Levi, Björn Schmitt, Luise Schröder are expected as additional guests.
Offenbach & Frankfurt
Marie-Hélène Gutberlet, Felix Trautmann und Franziska Wildt (kuratorisches Team / curatorial team)
FR., 8. NOVEMBER, KINOPOLIS HANAU
KINOPOLIS HANAU, AM STEINHEIMER TOR 17, 63450 HANAU
Cinema admission prices apply, ticket sales: kinopolis.de/hu/programm
The asamblea begins at Kinopolis with Traces — The Victims of NSU (2019), one of the first films to seek a conversation with the relatives of Enver Şimşek, Süleyman Taşköprü and Mehmet Kubaşık, who were murdered in Nuremberg, Hamburg and Dortmund. The filmmaker speaks to them during the years-long NSU-trial. Aysun Bademsoy — a documentary filmmaker with many years of experience of Turkish- German relations and experiences — breaks the silence, making visible the publicly unseen pain that the murders, the investigative errors and incessant suspicions have brought to the families of the bereaved and their circles of friends. The screening of the film is a Hanau premiere.
In the presence of Aysun Bademsoy and other guests; reception
In collaboration with kein_schlussstrich Hessen