HUM - 2. Akt

Tendaguru, den 8./9.9.2000

 

Ihr Lieben zu Hause,

der Schweiß schmeckt schon lange nicht mehr salzig und wer am Tag weniger als 8 Liter Wasser trinkt, der ist faul! Heute bin ich mit Oliver fast 9 Kilometer durch den Busch gelaufen ... alles umsonst, keine Aufschlüsse, nicht einmal Lesesteine. Die Gesellschaft hat sich hier aus Tendaguru einigermaßen eingerichtet und ich darf kochen! Leider gibt es nicht die nötigen Zutaten für ein abwechslungsreiches und gehaltvolles Essen.

Gestern ist mir ein Absatz meiner Stiefel abgebrochen, so daß ich jetzt erst einmal bis Sonntag in Turnschuhen durch Afrika laufe. Dabei hat es nicht einmal etwas genutzt, ich bin der einzige in der Gruppe, der bisher noch nichts Vernünftiges gefunden hat. Dabei erfreue ich mich an der Natur bei 35° C bis 45° C im Schatten. Trotz Trockenzeit gibt es überall noch etwas Wasser, so daß viele Pflanzen noch grün sind und z. T. sogar schon wieder blühen. In der Umgebung hält sich z. Z. eine Elefantenherde auf, deren Spuren wir täglich queren. Wilde Schweine gibt es häufiger und gelegentlich eine Elefantenspitzmaus. Damit sind alle Großtiere aber auch abgehakt. Eine ganze Menge Schmetterlinge bevölkern die Bach... und erfreuen uns neben den Pflanzen mit ihren Farben.

Auf Dauer wird es aber etwas langweilig, zudem sind unsere tanzanischen Begleiter etwas nervig, sie sollen wohl eher auf uns aufpassen als wissenschaftlich arbeiten, abgesehen vielleicht von Emma, der Vertreterin der halbstaatlichen Ölexplorationsfirma TPDC.

Eigentlich wollte ich noch ganz in Ruhe in dem Schatten sitzen und diesen Brief schreiben, aber das gelingt mir nicht. Erst wollte ich noch duschen (Wasser aus 1/2 Liter-Flaschen!), dann mußte ich noch mein Hemd und meine Hose waschen und natürlich noch das Abendessen vorbereiten. Man schläft auch recht schlecht, zumindest gilt das für mich. Gegen 10.00 Uhr gehen wir schlafen und stehen gegen 6.00 Uhr auf, wenn gerade mit den ersten Wolken die Sonne aufgeht!

Wenn ich die Augen aufmache, schaue ich direkt in den rosafarbenen Horizont, soweit er nicht von Bäumen verstellt ist. Die untergehende Sonne kann ich nicht so schön beobachten, weil ich dazu auf den Tendaguru steigen müßte, aber das tue ich auch noch. So geht es mir psychisch so lala (mit Euch wäre es ganz anders), aber physisch geht es ganz gut, trotz der stark körperlichen Belastungen.

Schnell ein paar Zeilen, denn ich habe gerade eine halbe Stunde Zeit. Wie nicht anders zu erwarten, sind die Eindrücke überwältigend. Es ist alles so anders, neu und obwohl ich ja nichts machen brauche, mich zurücklehnen kann und genießen (zumindest bis jetzt) gab es noch keine ruhige Minute.

Bis gestern abend hat alles wunderbar geklappt, nur fanden wir leider hier in Lindi keine richtige Unterkunft. So haben wir in einem Guesthouse genächtigt, allerdings war die Nacht auch wieder kurz. Näheres dazu werde ich ausführlich zu Hause berichten. Heute haben wir alle Behördengänge erledigt und können morgen in aller Frühe zum Tendaguru aufbrechen! Für heute Nacht habe ich hier in der Missionsstation ein Zimmer, sogar mit fließendem Wasser im Zimmer, sauberen Klos und zwei Veranden. Eine davon geht zur Bucht von Lindi hinaus, der Blick nur wenig von den Kokospalmen eingeschränkt!

Wir waren auch schon am Strand und haben neben antropologischen Beobachtungen einige Muscheln etc. gesammelt. Vielleicht freut sich Miyon und kann etwas damit herstellen. Grundsätzlich sind die Leute hier freundlich, nur viele können kein Englisch und wir leider auch kein Kisuaheli. Hätte der Kaiser seinen damaligen Untertanen auch das Deutsche verordnet...

Ich versuche etwas Tagebuch zu führen, aber bereits gestern klappte es nicht mehr, da wir erst gegen 20.30 Uhr in Lindi ankamen und ich endlich gegen 23.30 Uhr im Bett lag.

 

Nachtrag.

Am 14. März vormittags 11 ½ Uhr geruhten Seine Majestät der Kaiser – in Begleitung des Herrn Generaladjntanten, Generaloberst. Exz. v. KESSEL und des Chefs des Zivilkabinetts, Wirkl. Geh. Oberreg.-Rats. Exz. v. VALENTINI – das Museum für Naturkunde durch Allerhöchst Seinen Besuch zu beehren, und hatte dabei der Vorsitzende die besondere Auszeichnung  - in Anwesenheit der Mitglieder unserer Gesellschaft: AUGUST BRAUER; DAVID v. HANSEMANN, JANENSCH, v. STAFF und RECK – daselbst über den Diplodocus, was bereits seit einem Jahr fest bestimmt war, sowie auch über die Funde der Tendaguru-Expedition Vortrag halten zu dürfen, worauf Seine Majestät huldvollst bestimmten, daß der Diplodocus nach den in unserer Gesellschaft zuerst vorgetragenen Ideen umgestellt werden solle.

Auf einem kleinen Absatz der Steilwand finden wir unsern Präparator, der mit größter Sorgfalt die zarten und brüchigen Knochen bloßzulegen sucht. Ist das Wetter gut, dann ist es ein herrlicher Aufenthalt, aber wehe, wenn Sturm und Regen oder gar, wie so häufig, Schnee und Kälte dazwischen kommen. Dann wird die Sache höchst ungemütlich und schwierig, da das Eingipsen der Stücke, die andernfalls auf dem Transport zu Sand zerfallen würden, fast unmöglich wird. Langsam nur geht die Arbeit vor sich und manchmal sind mehrere Tage notwendig, bis das Nest ausgehoben und alles sorgfältig und in die bereitstehenden Kisten verpackt ist. Mit Angst und Bangen wird der Transport auf Wagen und Bahn bewacht geleitet, denn alles hängt davon ab, daß die Stücke nicht mehr durch Rütteln und Stoßen zerfallen und zerbrechen. Aber auch dies geht vorüber, und auf den Tischen ausgebreitet liegen nun die genau numerierten Gesteinsbrocken und Gipsballen; wer nicht guter Kenner dieser Dinge ist, würde wohl auch jetzt noch nicht das geringste Bild von dem im Gestein enthaltenen Saurierrest bekommen und nur mühsam hier und da den Querschnitt durch einen Knochen erkennen. Und doch gilt es schon jetzt, einen Plan für die Präparation zu entwerfen, denn es muß die sog. Schauseite bestimmt und alle Stücke müssen richtig orientiert werden. Wochen, vielleicht Monate gehen darüber hin, bis endlich alles aus dem Gips und Gestein herausgeschält ist un der Saurier gewissermaßen seine Auferstehung feiert.

Hier lernte ich die Beurteilung der gewaltigen Knochenreste und die Methode der Ausgrabung und Verpackung kennen; trefflich kam mir diese zustatten, als ich vor vier Jahren den ostafrikanischen Ungeheuern auf den Leib rückte.

Meine Reise nach unserer schönen Kolonie Ostafrika war ursprünglich von ganz andern Fragen beherrscht, welche mich erst in die Gebiete des Uluguru- und Nguru-Gebirges, dann nach dem Viktoria-Nyanza führten, aber auf allen diesen Touren schwebte mir immer eine weitere Wanderung im Süden vor, denn schon bei meiner Abreise hatte ich unbestimmte Kunde von Knochenresten, die dort liegen sollten, bekommen und diese Nachricht hatte sich durch spätere Erkundigung in Daressalam zu einer gewissen Wahrscheinlichkeit verdichtet und bestärkte mich in dem Vorsatz, die dortigen Gebiete aufzusuchen. Durch Dysenterie leider geschwächt kam ich von Uganda zurück, aber unverzüglich ging die Reise weiter von Mombasa nach der entzückenden südlichen Hafenstadt Lindi und trotz mannigfacher, echt afrikanischer Widerwärtigkeiten, insbesondere des Verlustes meiner Ausrüstung samt dem Boy konnte ich dank dem Entgegenkommen der dortigen Beamten schon zwei Tage nach Ankunft ins Innere abmarschieren. Es ist wohl kaum nötig, das Wanderleben einer derartigen ostafrikanischen „Saffari“ zu schildern, denn dieses bleibt sich im wesentlichen immer gleich, und das köstliche Lagerleben, die langen Trägerkolonnen auf dem Marsche und die entzückenden und interessanten Urwaldsbilder sind zur Genüge bekannt.

In fünftägigem Marsch gegen Nordwest von Lindi war der Berg Tendaguru erreicht und hier traf ich auch mit dem Ingenieur SATTLER zusammen, dem wir die erste Kunde dieser Fundstätte verdanken. Was ich gleich beim ersten Anblick der frei herumliegenden, ausgewitterten und deshalb meist unbrauchbaren Stücke feststellen konnte, erfüllte mich mit größter Freude, denn zweifellos handelt es sich um Dinosaurierreste von gewaltigen Dimensionen und einer Fülle, die den amerikanischen Lokalitäten nichts nachgab.

Ich wurde mir bald bewußt, daß es sich bei meinem Besuche nur um eine vorläufige Feststellung der Fundplätze handeln konnte und daß eine systematische Ausbeutung jahrelanger angestrengter Grabarbeiten bedürfe. Diese sind nun im Gange und haben meine damals gewonnene Auffassung von der Reichhaltigkeit und der wissenschaftlichen Bedeutung dieser Fundplätze in vollstem Maße bestätigt. Die Museumsverwaltung und die Akademie der Wissenschaften in Berlin haben Mittel und Wege gefunden, um eine große Expedition zur Ausbeutung dieses Dinosaurierkirchhofes auszurüsten; nunmehr schon im dritten Jahre sind sie Assistenzen Dr. JANESCH und Dr. HENNIG mit großem Erfolg für das Berliner Museum tätig und Material im Gewicht von mehr als 50 000 kg ist bereits in Berlin eingetroffen.